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Schreiben bei Krankheit und Krisen – ein sinnstiftendes Instrument in der Pflege

Inhaltsverzeichnis

Schreiben entlastet: Das können wir seit Jahrhunderten beobachten. Von den Confessiones, den Bekenntnissen des Augustinus, über Anne Franks Tagebuch und Viktor Frankls Schilderungen aus den Konzentrationslagern, bis hin zu den Blogs todkranker Menschen wie zum Beispiel Regisseur Christoph Schlingensief und Autor Wolfgang Herrndorf: Wer ihre Blogartikel liest erfährt, wie Entlastung über das Schreiben funktioniert. Die Welt soll teilhaben am persönlichen Kampf gegen Krankheit, erfahren von Sieg oder Niederlage des Protagonisten.

Wie Sie einzelne Patienten, deren Angehörige oder Patientengruppen beim Schreiben unterstützen können, erfahren Sie hier.

1. Bloggen am Krankenbett

Bloggen am Krankenbett ist in den USA viel verbreiteter als bei uns. Aber auch hier gibt es Beispiele. Junge Bloggerinnen wie ‚Marie gegen Krebs‘, die kurz nach der schwerwiegenden Diagnose vom Krankenbett aus bloggen, gibt es häufig. Sie teilen mit der Welt, was sie gerade erleben – das findet Leserinnen und Leser, weitaus mehr, als man sich vorstellt. Wie wichtig das Schreiben ist, klingt durch jede Zeile. Blogger sind meist aus sich heraus motiviert. Sie schreiben über Alltagsanforderungen, Gefühle, die großen Operationen, Austausch mit Leidensgenossen, neue Therapien.

Falls Sie Anregungen für Ihre Patienten zum Bloggen suchen: Schauen Sie bei anderen Bloggern im Netz oder lesen Sie sich zum Thema Inspiration und Methoden hier ein. Im Buch von Lisa Sintermann und mir ist erklärt, wie Blogger ihre Themen finden und mit Leichtigkeit ins Schreiben kommen.

Das Schreiben hat eine wichtige Funktion in der Krise: Es dient der Erkenntnis und der Distanzierung. Manchmal auch dem Abschied, so wie im Brief der 27-jährigen Holly Butcher in Australien, die einen Tag vor ihrem Tod mit einem Brief auf Facebook sich ihrem Schicksal der Sterblichkeit im jungen Alter stellt. In ihrem Brief gibt Holly uns Ratschläge für ein glückliches Leben – ein Leben, das ihr leider zu führen verwehrt ist. Einen Tag nach Veröffentlichung auf ihrer Facebook-Seite stirbt Holly im Kreis ihrer Familie; aber ihre Botschaft geht um die Welt.

2. Biografisches Schreiben für Patienten

Das Schreiben und sich Mitteilen ist also ein tiefgehendes Bedürfnis von Menschen, die mit ihrem Leben und vielleicht auch Sterben besser zurechtkommen wollen. Wie können Sie in Ihren Institutionen das Schreiben als Instrument einsetzen?

  • Es gibt Angebote und Anleitungen zur ‚heilenden Biografie‘: „Die sorgfältige Erarbeitung Ihrer Memoiren kann Sie seelisch stabilisieren und von quälenden Belastungen befreien.“, so heißt es in einem ersten Biografie-Anleitungs-Brief von Dr. Andreas Mäckler. Diese anleitenden Briefe könnten auch Patienten oder die Klinikleitung abonnieren. Man kennt die Redensart: „Wer schreibt, der bleibt“. Die Bedeutung ist klar: Wer der Familie ein Memoir oder eine Autobiografie hinterlässt, der wird nicht so schnell vergessen. Und ist darüber hinaus in schweren Zeiten beschäftigt, hat etwas, das von Schmerzen und Schwierigkeiten ablenkt.
  • Eine andere Möglichkeit, den Focus auf Glück und Dankbarkeit zu richten, ist das 6-Minuten-Tagebuch – vorformatierte Seiten mit sich wiederholenden Schreibanregungen für jeden Tag. Wenn keine Schreibgruppe im Haus ist, ist das eine Möglichkeit für Patienten, täglich selbst für die positive Einstellung seinem Leben gegenüber zu sorgen. Aller Erfahrung nach ist es jedoch schwer, ohne liebevolle Unterstützung allein dran zu bleiben.
  • Wie Sie bei herausfordernden Patienten mit beginnender Demenz das Schreiben einsetzen, haben wir in unserem Blogartikel beschrieben, in dem es um den Einsatz von leichten Erinnerungsübungen und Märchen geht.

3.a Gesundheitsförderndes kreatives Schreiben für Patienten in Krankenhaus oder Reha

Schreiben fördert die konstruktive Auseinandersetzung mit der Krankheit – aus dieser Überzeugung heraus haben wir, Sudijumi, mit vielen Patientengruppen gearbeitet. So zum Beispiel mit HIV-infizierten Frauen bei der Berliner AIDS-Hilfe, oder mit chronisch kranken Menschen bei anthroposophischen Verbänden. Besonders eindrucksvoll waren und sind die Erfahrungen an der Charité, wo wir auf Initiative von Professor Sehouli und mit Finanzierung der Stiftung Eierstockkrebs eine Schreibgruppe für Patientinnen mit Krebserkrankungen anbieten. Ziel ist, dass die Patientinnen das Gefühl von Ohnmacht überwinden und mit dem Stift und kreativen Methoden wieder ‚die Zügel in die Hand‘ nehmen. GKS, das Gesundheitsfördernde Kreative Schreiben, kann dabei entscheidend positive Impulse setzen.

Alle Patienten profitieren davon:

  • Sich zu vergegenwärtigen was im Moment trägt – zum Beispiel ihre Beziehungen zu Angehörigen und Freunden
  • Kraftquellen aufzuspüren, die inneren und äußeren Tankstellen zu aktivieren
  • sich klar zu machen, was in dieser Situation jetzt wesentlich ist und einen Weg zu finden, jetzt authentisch zu leben
  • positiven Gefühlen nachzuspüren, sie mit allen Sinnen auszumalen, damit sie nachhaltig wirken und durch den Tag tragen
  • in den Flow beim kreativen Tun zu sinken
  • schreibend die eigene Identität neu zu erleben und zu stabilisieren – ein wichtiges Moment in der Begleitung von Patientinnen mit Krebserkrankungen.
  • GKS, das Gesundheitsfördernde Kreative Schreiben, birgt die Möglichkeit auf dem Papier testend Dialoge und Szenen auszuprobieren und dem Leben neuen Sinn zu geben. Abgesehen von der psychosozialen Komponente beeinflusst künstlerisches Tun das Immunsystem, das lässt sich nach einer Fülle von Studien klar sagen.

Wollen Sie Ihre Patienten zum Schreiben anstiften?

Im Mai erscheint zum Welteierstockkrebstag unser gemeinsames Buch mit Professor Sehouli: „Mit Schreiben zur Lebenskraft“ beim Kösel-Verlag. Dieses Übungsbuch ist zunächst nur für Patientinnen erhältlich, aber 2019 erscheint es im Buchhandel. Es könnte Ihnen Ideen geben, wie Sie vorgehen. Außerdem führen wir ständig Weiterbildungen durch, oder Workshops auf Kongressen.

3.b Gesundheitsförderndes kreatives Schreiben für Pflegende in Krankenhaus oder Reha

Teambuilding als Nebeneffekt: Schreiben kann für Pflegende sehr entlastend und stärkend sein. Sie können in einer Schreibgruppe profitieren, wenn sie in den so wichtigen Austausch mit den Kollegen gehen; außerdem stärkt es das Team, denn über das Lesen der Texte stellt sich sehr schnell ein Gefühl der Gemeinschaft und Solidarität ein. Auch Supervision kann gepaart mit Schreibübungen erfolgen.

4. Schreiben als Hilfe für Angehörige

In psychologischen Online-Beratungen wird u.a. die Methode des Guided Letter Writing eingesetzt. Eine Adresse dafür: Pflegen und Leben ist ein Hilfe-Portal für pflegende Angehörige. „Sich Stress und Sorgen von der Seele schreiben“, damit wirbt der Anbieter. Wir meinen: Sich entlasten ist der erste Schritt, danach geht es darum, Problemlösungen zu finden. Und genau dafür ist das Kreative Schreibens als Instrument bestens geeignet.

ist Autorin und Bloggerin, Master of Creative and Biographical Writing, Kunst- und Kreativitätstherapeutin. Sie ist auf Initiative von Prof. Dr. Jalid Sehouli mit Schreibprogrammen zur Gesundheit an der Frauenklinik der Charité aktiv. Ihr Buch „Mit Schreiben zu neuer Lebenskraft“ ist beim Kösel-Verlag erschienen. Darüber hinaus berät sie Kliniken, Rehas und andere Organisationen, wie sie das Schreiben als wirksames Instrument zur Gesundheitsförderung einsetzen können. An der Psychiatrie der Charité erhält sie die Förderung des Gesundheitsfonds für ein Konzept zur Entlastung und Stärkung von Mitarbeitern in der Pflege. In der Vorstandsarbeit der Europäischen Künstlergilde für Medizin und Kultur setzt sie sich für eine ganzheitliche Medizin ein.
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