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Darmbakterien – die heimlichen Beeinflusser von Gesundheit?

Inhaltsverzeichnis

Der Darm ist unser größtes Immunorgan. Etwa 80% aller aktiven Immunzellen werden von ihm beherbergt. Dabei ist das Darmmikrobiom ein noch relativ junges Forschungsgebiet. Und mit einem rasanten Anstieg der wissenschaftlichen Publikationen seit der Jahrtausendwende absolut im Trend. Zu Recht! Denn die wahre Bedeutung unserer Darmbakterien wurde bis dahin unterschätzt.

Zahlreiche Forscher-Teams haben sich zu Aufgabe gemacht, Art und Funktion der Darmbesiedelung auf den Grund zu gehen und diese mit dem Auftreten diverser Krankheitsbilder in Verbindung zu bringen. Der Darm als Schaltstelle zwischen Gesundheit und Krankheit? Zahlreiche Studien berichten, dass Veränderungen im Darmmikrobiom mit Übergewicht, Diabetes, Lebererkrankungen und sogar mit Krebs und neurodegenerativen Krankheiten einhergehen[1]. Die Ergebnisse sind vielversprechend und gehen weit über die klassischen Infektionskrankheiten hinaus. Deren Interpretation wird dabei auch kontrovers diskutiert.

Eine einzigartige Wohngemeinschaft

Das Darmmikrobiom eines jeden Menschen ist einzigartig. Wie unser Fingerabdruck. Neben Viren, Phagen, Pilzen, Hefen und Archaea sind Bakterien mit einer Masse von bis zu 2kg die dominantesten Bewohner unseres 8m langen und Tennisplatz-großen Darms. Mit einem Anteil von ca. 90% wird der Darm von Bacteroidetes und Firmicutes dominiert, gefolgt von Actinobacteria und Proteobacteria. Rund 1000 Spezies wurden bislang identifiziert. Und jeder Mensch beheimatet ca. 160 dieser Spezies[2]. Trotz dieses einzigartigen bakteriellen Fingerabdrucks, ist die Zusammensetzung aber nicht völlig willkürlich. So kann jeder Mensch in Abhängigkeit der dominierenden Bakteriengattung in drei sogenannte Enterotypen eingeteilt werden (Bacteroides, Prevotella, Ruminococcus), deren genaue Bedeutung allerdings noch erforscht wird.

Woher kommen die Darmbakterien überhaupt?

Die Besiedelung des Darms beginnt nach der Geburt. Einigen Hinweisen zufolge bereits im Mutterleib. Die Besiedelung wird dabei von unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst. Beispielsweise von der Art der Geburt (vaginal oder Kaiserschnitt). Ob der Säugling gestillt wird oder Säuglingsanfangsnahrung bekommt.  Aber auch von Vererbung, Herkunft, Umfeld. Bauernhofkinder, deren Immunsystem häufiger mit Schmutz und Keimen in Berührung kommt, haben eine größere Vielfalt an Darm-Mikroben und neigen weniger zu Asthma oder Heuschnupfen als Stadtkinder[3]. Omas Aussage, dass man „ruhig einmal Dreck essen“ sollte, bekommt damit erfreuliche Evidenz.
Das Darmmikrobiom etabliert sich in den ersten beiden Lebensjahren und ist im Erwachsenen in Abwesenheit von Störfaktoren relativ stabil. Wie der normale Lauf der Dinge, nimmt es im Alter an Anzahl und Vielfältigkeit wieder ab.

Symbiotisches Multitasking im Darm

Mensch und Mikrobiom bilden eine Symbiose. Der Mensch bietet einen angenehmen Lebensraum, ein Wohlfühl-Klima und Nährstoffe. Im Gegenzug sind unsere Darmbakterien emsige Multitasker, die verschiedene wichtige Funktionen übernehmen:

Firewall

Darmbakterien haben eine wichtige Barrierefunktion gegenüber Krankheitserregern. Sie sorgen für ungünstige Lebensbedingungen, besetzen Lebensräume an der Schleimschicht und verhindern so die Ansiedelung pathogener Keime (Kolonisationsresistenz). Eindringlinge mit unlauteren Absichten werden außerdem durch die Produktion antimikrobieller Substanzen bekämpft und Toxine unschädlich gemacht.

Nährstofflieferanten

Der Abbau von komplexen Polysacchariden im menschlichen Darm wäre ohne mikrobielle Enzyme gar nicht möglich. So helfen Darmbakterien, Energie aus unserer Nahrung zu extrahieren und Vitamine, Enzyme, Fettsäuren und Aminosäuren bereitzustellen.

Immunologische Trigger

Darmbakterien stimulieren und trainieren das Immunsystem und regen die Antikörper-Produktion von Immunzellen an.

Kommunikation mit dem Gehirn

„Auf das Bauchgefühl hören“ wird mit dieser Erkenntnis in ein völlig neues Licht gestellt: Im Rahmen der sogenannten „Darm-Hirn-Achse“ hängt der Darm wesentlich mit dem Gehirn zusammen. Darmbakterien beeinflussen bestimmte Gehirnfunktionen, indem sie beispielsweise Neurotransmitter wie Serotonin oder GABA produzieren, die Einfluss auf Gedächtnis, Erleben und Verhalten haben.

Auf die Stabilität kommt es an…

Diese vielen positiven Effekte werden durch eine gesunde und stabile Darmflora generiert. Eine gesunde Darmflora besteht hauptsächlich aus nützlichen Bakterien (z.B. Lactobacillus, Bifidobacterium), aber immer auch aus einigen Bakterien, die einen negativen Effekt haben können, wie zum Beispiel Clostridium difficile oder fakultativ pathogene Enterobacter-Spezies. In einem gesunden Darm werden diese Keime und die von außen kommenden Krankheitserreger von den nützlichen Bakterien in Schach gehalten.

Gute und schlechte Bakterien im Darm

Normalerweise ist unser Darmmikrobiom relativ stabil. Es reagiert jedoch schnell auf Faktoren wie Änderungen der Ernährung, Stress, gastrointestinale Erkrankungen, Reisen[4] oder Medikamenten-einnahme. Einschneidende Effekte hat insbesondere die Gabe von Antibiotika. Sie bewirkt massiven Verlust an mikrobieller Diversität und die Ausbildung von Resistenzen. Wenn das Gleichgewicht der Bakterienflora gestört ist, können sich Krankheitserreger vermehren und die Population der nützlichen Bakterien zurückdrängen. Ist die Bakterienzahl verändert oder verringert, spricht man von einer Dysbiose – einer Störung des Gleichgewichts der Darmflora.

Vielversprechende Ergebnisse – trotz Huhn & Ei

Ob die Dysbiose aber Ursache (Huhn) oder Folge (Ei) einer Krankheit ist und ab wann sie eine Krankheit verursachen kann, muss noch gezeigt werden. „Was genau ein gesundes Mikrobiom ist, ist tatsächlich weitgehend unklar“, sagt Elisabeth Bik, Mikrobiologin an der Stanford University[4],[5]. Der Zusammenhang zwischen Dysbiosen und zahlreichen Krankheitsbildern ist aber unumstößlich erwiesen: Asthma, Allergien, Antibiotika-assoziierte Diarrhö, Autismus, Clostridium difficile-Infektionen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitus Ulcerosa und Morbus Crohn, Diabetes Typ 1 und 2, Darmkrebs, Reizdarmsyndrom, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Übergewicht. Eine gestörte Darmflora kann sich auch auf die Psyche auswirken. Somit können Darmbakterien an der Ausbildung von neurologischen Erkrankungen und psychischen Störungen beteiligt sein. Auch bei weniger schweren Erkrankungen kann die Darmflora eine Rolle spielen. Stefan Pölz ist Allgemeinmediziner in München und führt in der Praxis häufige Beschwerden auf das Darmmikrobiom zurück: “Die Patienten, die kommen, haben oft allgemeine Beschwerden, wie Blähungen, Durchfall oder wechselnden Stuhlgang, diffuse Bauchschmerzen. Und das sind alles Symptome, die darauf hinweisen, dass die Darmflora gestört ist, dass das bakterielle Gleichgewicht aus dem Ruder gelaufen ist.“

Experten raten zur Vorsicht bei der Interpretation

Kritisch äußern sich Experten, was die Interpretation der Forschungsergebnisse angeht. Der Wissenschaftler Prof. Patrice D. Cani von der belgischen Université catholique de Louvain warnt davor, zu schnelle Schlussfolgerungen zu ziehen, nämlich „(…) dass ein Bakterium ursächlich mit dem Schutz vor oder dem Ausbruch einer Krankheit verbunden ist. (…) Umweltfaktoren wie Ernährungsgewohnheiten, medikamentöse Behandlungen, Darmmotilität sowie Stuhlhäufigkeit und -konsistenz sind Faktoren, die die Zusammensetzung der Mikrobiota beeinflussen und berücksichtigt werden sollten.“[1]

Vorsicht sei auch bei dem Zusammenhang zwischen einer veränderten Bakterienpopulation und Übergewicht geboten. So ist bei Übergewichtigen die Anzahl der Firmicutes gegenüber den Bacteroidetes erhöht. Firmicutes können besonders effektiv Energie aus unserer Nahrung ziehen und damit für eine üppige Nährstoffzufuhr sorgen. Prof. Dr. rer. nat. Dirk Haller, Mikrobiologe und Immunologe von der Technischen Universität München sagt: „Bakterien tragen vielleicht dazu bei, dass ein Mensch übergewichtig wird. Aber sie sind sicher nicht der Hauptgrund. Man wird dick, weil man mehr Kalorien aufnimmt, als man verbraucht – und nicht wegen der Darmflora.“[6]

Desweiteren gilt zu berücksichtigen, dass neben Bakterien eben auch noch andere Mikroorganismen wie Hefen, Pilze, Viren und Phagen im Darm vorhanden sind, die sowohl den Mensch als auch die Darmbakterien beeinflussen.

Experten raten zu weiteren Studien. Wir sind gespannt! 

[1] Cani PD Human gut microbiome: hopes, threats and promises Gut Published Online First: 22 June 2018. doi: 10.1136/gutjnl-2018-316723

[2] Qin et al. 2010, Nature. 2010 Mar 4;464(7285):59-65. doi: 10.1038/nature08821

[3] https://www.br.de/radio/bayern2/mikrobiom-darm-darmflora-bakterien-verdauung-aufgaben-100.html

[4] Bik 2016, Yale J Biol Med. 2016 Sep; 89(3): 363–373

[5] https://www.spektrum.de/news/was-darmbakterien-wirklich-koennen/1435188

[6] https://www.apotheken-umschau.de/familie/kindergesundheit/wie-babys-eine-gesunde-darmflora-entwickeln-793835.html


Bildnachweis: sveta – stock.adobe.com; metamorworks – stock.adobe.com

ist Molekularbiologin und hat am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena promoviert. Danach hat sie mit Unternehmen der Gesundheits- und Biotechnologie-Branche unter anderem in den Fachgebieten Infektionsprävention und Darmmikrobiom zusammen gearbeitet. Heute führt sie ihr eigenes Unternehmen im Bereich Marketing und Consulting. Die Erstellung von Fachbeiträgen ist eines ihrer Tätigkeitsgebiete.
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